Versorgungswerke – und die freiwilligen Mehrzahlungen für Vorjahre

Konnte der Steuerpflichtige in rentenrechtlich zulässiger Weise Nachzahlungen von Vorsorgebeiträgen für ein vorangegangenes Kalenderjahr leisten, die jedoch erst im Zahlungsjahr rentenrechtlich wirksam werden, sind diese Beiträge im Rahmen der Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG als Beiträge für das Jahr zu berücksichtigen, für das sie zulässigerweise geleistet wurden.

Versorgungswerke – und die freiwilligen Mehrzahlungen für Vorjahre

Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG unterliegen auf Antrag auch Leibrenten i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit dem Ertragsanteil der Besteuerung, soweit die Leibrenten auf bis zum 31.12.2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass der Betrag des Höchstbeitrags mindestens zehn Jahre überschritten wurde (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 Halbsatz 2 EStG).

Der Bundesfinanzhof hat im Falle der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden, dass es bei der Anwendung der Öffnungsklausel nicht allein darauf ankommt, in welchem Jahr die Beiträge gezahlt wurden, sondern auch darauf, für welche Jahre die Beiträge geleistet wurden. Das sog. In-Prinzip sei im Rahmen der Öffnungsklausel nicht uneingeschränkt anwendbar[1].

In diesem Zusammenhang gehe es -so die wesentliche Urteilsbegründung- nicht um das Problem, in welchem Jahr Altersvorsorgeaufwendungen abgezogen werden könnten, sondern um die Vermeidung einer möglichen verfassungswidrigen Doppelbesteuerung, die dadurch entstehe, dass ein Steuerpflichtiger eine Altersrente als Einnahme versteuern müsse, obwohl er die von ihm getragenen Beiträge, aufgrund derer er die Rente erhalte, gerade wegen ihrer Höhe nicht bzw. nur eingeschränkt als Sonderausgaben habe abziehen dürfen[2]. Ausgangspunkt sei die gesetzgeberische Annahme, dass es ohne die Öffnungsklausel (insbesondere bei Selbständigen) in seltenen Ausnahmefällen bei uneingeschränkter Anwendung der nachgelagerten Besteuerung zu einem Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung kommen könne. Aufgrund der Öffnungsklausel werde nicht im konkreten Einzelfall geprüft, ob eine Doppelbesteuerung vorliege, vielmehr werde sie bei Vorliegen der Voraussetzungen der typisierenden Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG zu Gunsten des Steuerpflichtigen gesetzlich vermutet[3].

Die mögliche Doppelbesteuerung entsteht somit nicht durch die Zahlung in einem bestimmten Veranlagungszeitraum, sondern aufgrund der fehlenden steuerlichen Berücksichtigung von Leistungen oberhalb des Höchstbeitrags, die in den Jahren vor 2005 regelmäßig -insoweit- nicht steuerlich abziehbar waren. War die Leistung für vergangene Jahre rentenrechtlich möglich, drohte eine Doppelbesteuerung. Deshalb hat der Bundesfinanzhof im Falle der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung auf das Für-Prinzip abgestellt.

Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ist der vorliegende Fall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Steuerpflichtige zwar in rentenrechtlich zulässiger Weise Nachzahlungen für ein vorangegangenes Kalenderjahr leisten konnte, diese aber erst im nachfolgenden Zahlungsjahr rentenrechtlich wirksam wurden, bei der Prüfung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG mit der Konstellation einer Nachversicherung in die gesetzliche Rentenversicherung vergleichbar. Nach Sinn und Zweck der Öffnungsklausel sind diese Nachzahlungen bei der Ermittlung des Zehnjahreszeitraums ebenfalls als Beiträge des Jahres zu berücksichtigen, für das sie zulässigerweise geleistet wurden.

Dabei verkennt der Bundesfinanzhof nicht, dass das Versorgungswerk (hier: Bayerische Ärzteversorgung) nach seinen Angaben das Für-Prinzip, also eine Nachversicherung für Vorjahre i.S. einer auch rentenrechtlich rückwirkenden Zuordnung zu den Vorjahren, nicht kennt.

Der Hinweis des Versorgungswerks auf § 38 Abs. 2 Satz 2 seiner aktuellen Satzung, wonach für den Zeitpunkt der Entrichtung der Tag des Zahlungseingangs maßgeblich ist, ist zwar für die in Rede stehenden Einzahlungen des hier klagenden Arztes im Jahr 2003 nicht unmittelbar einschlägig, da die Regelung dergestalt erst seit 2015 besteht. Die im Kalenderjahr 2003 -aber auch in früheren Jahren- gültige Fassung der Satzung enthielt aber bereits eine inhaltsgleiche Bestimmung (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 2 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung i.d.F. vom 01.12.1995, BayStAnz Nr. 51/52 vom 22.12.1995, S. 2 -Satzung a.F.-). Im Übrigen war und ist die Regelung, dass für den Entrichtungszeitpunkt der Zahlungseingang maßgeblich ist, bei der Berechnung des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit entsprechend anzuwenden (§ 39 Satz 1 der aktuellen Satzung; § 39 der Satzung a.F.).

Allerdings ließ § 27 Abs. 1 Satz 3 der Satzung a.F. des Versorgungswerks (vgl. auch § 27 Abs. 3 Satz 3 der aktuellen Satzung) es zu, dass die für ein Kalenderjahr jeweils zulässigen freiwilligen Mehrzahlungen im laufenden oder im folgenden Kalenderjahr entrichtet werden können.

Aufgrund dieser Satzungsbestimmung konnte der Arzt die für 2002 zulässigen freiwilligen Mehrzahlungen noch im Folgejahr 2003 entrichten, allerdings gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 der Satzung a.F. nur bis zur Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Beitrag gemäß §§ 22 bis 26 und dem allgemeinen Jahreshöchstbeitrag (Absatz 2) oder der persönlichen Beitragsgrenze (Absatz 3). Daher wurden die Einzahlungen des Arztes für 2002 in Höhe von insgesamt 25.776 € nicht vollständig berücksichtigt. Nach dem Beitragsbescheid vom 01.10.2003 durften Pflichtbeitrag und freiwillige Mehrzahlungen zusammen für ein Kalenderjahr den jeweiligen Beitrag entsprechend der persönlichen Beitragsgrenze des Arztes, die im Jahr 2002 23.711 € betrug, nicht überschreiten. Dementsprechend wurde für das Jahr 2002 der -maximal zulässige- Betrag von 23.711 € als freiwillige Mehrzahlung festgesetzt. Der verbleibende Betrag in Höhe von 2.065 € wurde als freiwillige Mehrzahlung für das Kalenderjahr 2003 erfasst.

Vor diesem Hintergrund wird einerseits deutlich, dass aufgrund der Satzungsregelungen des Versorgungswerks die vom Arzt im Jahr 2003 für 2002 vorgenommenen Einzahlungen als Nachzahlungen (freiwillige Mehrzahlungen) für das Jahr 2002 möglich waren und sich rentenerhöhend ausgewirkt haben, wenngleich erst ab dem Zahlungsjahr 2003.

Behandelt demnach das Versorgungswerk aufgrund seiner Satzungsbestimmungen einen Teil der freiwilligen Mehrzahlungen in einem Jahr -mit Ausnahme des Zeitpunkts der Rentenwirksamkeit- wie eine Nachversicherung für das vorherige Jahr, ähnelt dies -wirtschaftlich betrachtet- einer Verrentung nach dem Für-Prinzip. Jedenfalls ist es nach Auffassung des Bundesfinanzhofs geboten, im Jahr 2002, für das in rentenrechtlich zulässiger und rentenerhöhender Weise freiwillige Zahlungen geleistet wurden, im Rahmen der Öffnungsklausel auch die Nachzahlungen zu berücksichtigen.

Denn ein Sonderausgabenabzug war für die vom Arzt für 2002 nachgezahlten freiwilligen Mehrzahlungen, die wie Pflichtbeiträge verrentet werden, nicht möglich. Der Arzt konnte sie im Jahr 2002 wegen des Abflussprinzips (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG) steuerlich nicht geltend machen. In dem Zahlungsjahr haben sie sich wegen des bereits im Regelfall üblicherweise ausgeschöpften Höchstbetrags zur gesetzlichen Rentenversicherung ebenfalls steuerlich nicht ausgewirkt. Somit stammen die auf den für 2002 nachgezahlten freiwilligen Beiträgen beruhenden Renten aus versteuertem Einkommen.

Diese Auslegung eröffnet nicht die Möglichkeit, missbräuchlich in den Geltungsbereich der Öffnungsklausel zu gelangen, da nur Zahlungen vor 2005 berücksichtigt werden können. Außerdem waren -worauf das Finanzgericht ergänzend hingewiesen hat- nach der Satzung des Versorgungswerks freiwillige Mehrzahlungen lediglich für ein abgelaufenes Kalenderjahr möglich.

Die Feststellungen des Finanzgericht tragen aber nicht dessen Entscheidung, dass der Höchstbeitrag nachweislich in dem für die Anwendung der Öffnungsklausel erforderlichen Umfang von (mindestens) zehn Jahren überschritten wurde.

Der -vom Arzt zu führende- Nachweis ist auch unter Berücksichtigung des vorliegenden Schreibens des Versorgungswerks vom 03.09.2012, dass der Betrag des Höchstbeitrags (jedenfalls) in neun Jahren überschritten sei, nicht erbracht. Denn das Versorgungswerk hat seine Aussage auf die dem Schreiben beigefügte Übersicht vom 08.03.2005 über die von 1970 bis 2004 geleisteten Einzahlungen des Arztes und ihre rentenrechtliche Zuordnung zu den einzelnen Kalenderjahren nach dem Einzahlungszeitpunkt (In-Prinzip) gestützt.

Da nach den obigen Darlegungen Einzahlungen des Arztes in einem bestimmten Kalenderjahr auch als Nachzahlungen für das Vorjahr geleistet worden und -bei der im Rahmen der Öffnungsklausel gebotenen Betrachtungsweise (quasi Für-Prinzip)- dem Vorjahr als Beitragsjahr zuzuordnen sein könnten, hätte das Finanzgericht die Prüfung nicht auf die in Rede stehenden Jahre 2002/2003 beschränken dürfen. Ausgehend von seiner zutreffenden materiellen Sichtweise bildet daher die nach dem In-Prinzip erstellte Übersicht des Versorgungswerks bezüglich der Frage, in welchen (weiteren) Jahren und in welcher Höhe der jeweilige Höchstbeitrag überschritten worden ist, keine ausreichende Grundlage.

Dass der gesamte Rentenversicherungsverlauf des Arztes neu zu betrachten ist, zeigt sich im Streitfall vor allem im Hinblick auf die -in der Übersicht des Versorgungswerks dargestellten- Einzahlungen des Arztes in den Jahren 1997 (24.327,17 €), 1998 (22.524,31 €) und 1999 (28.919,74 €). Die genannten Beträge bewegen sich der Höhe nach im Bereich der für das Jahr 2002 bekannten persönlichen Beitragsgrenze des Arztes (23.711 €), so dass in diesen Jahren eine (teilweise) Zahlung auch für ein anderes Kalenderjahr ernsthaft in Betracht kommt.

Soweit beim Versorgungswerk keine Bescheide über die Festsetzung von Beiträgen und freiwilligen Mehrzahlungen für die Jahre vor 2002 mehr vorhanden sind, könnte das Finanzgericht zur Aufklärung des Sachverhalts den Arzt zur Vorlage der bei ihm vorhandenen Beitragsbescheide auffordern, die der Arzt angesichts deren Bedeutung aufbewahrt haben dürfte. Seine Mitwirkung liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse, zumal dem Arzt der Nachweis obliegt, dass der Betrag des Höchstbeitrags mindestens zehn Jahre überschritten wurde.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 4. September 2019 – X R 43/17

  1. vgl. BFH, Urteil in BFHE 228, 223, BStBl II 2011, 567, Rz 84 ff.; Urteil vom 04.02.2010 – X R 58/08, BFHE 228, 326, BStBl II 2011, 579, Rz 75 ff.[]
  2. vgl. BFH, Urteile in BFHE 228, 223, BStBl II 2011, 567, Rz 89, und in BFHE 228, 326, BStBl II 2011, 579, Rz 80[]
  3. vgl. BFH, Urteil in BFHE 228, 326, BStBl II 2011, 579, Rz 92[]