Über die Art und Weise der Akteneinsicht hat der Senat und nicht der Vorsitzende Richter des Finanzgericht zu entscheiden, soweit nicht der ab dem 01.01.2018 gesetzlich geregelte Sonderfall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO für elektronisch geführte Akten vorliegt.
Die Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht stellt keine prozessleitende Verfügung i.S. des § 128 Abs. 2 FGO dar, so dass eine Beschwerde nicht ausgeschlossen ist[1].
Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg[2] liegt auch kein Fall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 FGO vor. Nach dieser Regelung ist die Entscheidung über einen Antrag nach § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO auf Übermittlung eines Aktenausdrucks oder eines Datenträgers mit dem Inhalt der Akten unanfechtbar. Vorliegend hat der Kläger seinen Antrag auf Akteneinsicht jedoch nicht auf § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO gestützt, sondern auf Art. 15 DSGVO. Zudem konnte er auch keinen Antrag nach § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO stellen, da die Prozessakten nicht in elektronischer Form, sondern in Papierform geführt wurden. Form und Ort der Akteneinsicht und somit auch die Ausgestaltung des Antragsrechts werden -was das Finanzgericht unberücksichtigt gelassen hat- durch § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung ausdrücklich danach geregelt, ob die Prozessakten elektronisch oder in Papierform geführt werden[3]. Danach findet der Ausschluss der Beschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 FGO keine Anwendung, wenn der Antrag auf Akteneinsicht sich auf Prozessakten bezieht, die -wie im vorliegenden Fall- in Papierform geführt werden.
Die Beschwerde des Klägers war im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall auch begründet, da das Finanzgericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Die Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg[2] leidet deshalb an einem i.S. des § 119 Nr. 1 FGO wesentlichen Verfahrensmangel[4], der zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Finanzgerichtes und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht führt.
Das Finanzgericht hat über den Antrag des Klägers, ihm die in Papierform geführten Prozessakten in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen, verfahrensfehlerhaft durch den Vorsitzenden und nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO durch den Senat des Finanzgericht in der Besetzung mit drei Richtern entschieden. Danach war das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt, so dass der Beschluss formell rechtswidrig ist.
Über die Art und Weise der Akteneinsicht hat der Senat und nicht der Vorsitzende Richter des Finanzgericht zu entscheiden, soweit nicht der ab dem 01.01.2018 gesetzlich geregelte Sonderfall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO für elektronisch geführte Akten vorliegt.
Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ablehnung der beantragten Akteneinsicht ist -bis auf die seit dem 01.01.2018 eingeführte Regelung des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 und Satz 6 FGO in Bezug auf die elektronisch geführte Prozessakte- gesetzlich nicht geregelt. Entscheidungen über die Akteneinsicht können danach -soweit nicht am Finanzgericht gemäß § 6 FGO der Einzelrichter oder bei der elektronischen Akteneinsicht der Vorsitzende nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO oder der Berichterstatter nach Satz 6 der Vorschrift zuständig ist- nach § 5 Abs. 3 FGO nur von dem Senat getroffen werden. An der Entscheidung über die Ablehnung der Akteneinsicht wirken danach drei Berufsrichter mit (§ 5 Abs. 3 Satz 2 FGO).
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, nach der dem (Senats-)Vorsitzenden grundsätzlich eine Ablehnungsbefugnis hinsichtlich der Art und Weise der Akteneinsicht zusteht[5], ist jedenfalls seit der Einführung des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1, Satz 6 FGO durch Art. 22 Nr. 8 Buchst. b des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017[6] zum 01.01.2018 überholt. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Vorsitzende des Senats stets -d.h. sowohl bei den in Papier und bei den elektronisch geführten Prozessakten- über die Art und Weise der Akteneinsicht entscheiden kann, hätte es der neu eingeführten Regelung des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 und Satz 6 FGO für die elektronisch geführten Prozessakten nicht bedurft. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine solche Zuständigkeit des Vorsitzenden nur nach § 78 Abs. 2 Satz 5 FGO für die elektronisch geführten Prozessakten besteht, mangels einer entsprechenden Regelung in § 78 Abs. 3 FGO jedoch nicht für die in Papierform geführten Prozessakten, so dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Befugnis des Vorsitzenden zur Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht bei den in Papierform geführten Prozessakten fehlt[7].
Eine solche Befugnis ergibt sich auch nicht aus einer anderen Verfahrensvorschrift. Bei der Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht handelt es sich nicht um eine prozessleitende Verfügung i.S. des § 128 Abs. 2 FGO[8]. Danach ergibt sich eine Entscheidungsbefugnis des Senatsvorsitzenden auch nicht aus § 79 Abs. 1 FGO, da diese Vorschrift nur in bestimmten Fällen zum Erlass von unanfechtbaren prozessleitenden Verfügungen ermächtigt. Es handelt sich auch nicht um eine Entscheidung, die von dem Vorsitzenden im vorbereitenden Verfahren nach § 79a FGO getroffen werden kann.
Danach hätte im vorliegenden Fall der Senat des Finanzgericht über die Ablehnung der beantragten Akteneinsicht in die in Papierform geführten Prozessakten in einer „gängigen elektronischen Form“ entscheiden müssen, so dass der Beschluss formell rechtswidrig und aufzuheben ist. Der Bundesfinanzhof entscheidet nicht selbst über den Antrag des Klägers, sondern verweist die Sache an das Finanzgericht zurück. Eine Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren zulässig[9]. Für die Entscheidung im zweiten Rechtsgang, die von dem Senat des Finanzgericht zu treffen ist, wird darauf hingewiesen, dass der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Akteneinsicht der in Papier geführten Prozessakten in einer „gängigen elektronischen Form“ weder aus Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO herleiten kann[10], noch eine Pflicht des Finanzgericht besteht, Behördenakten zu digitalisieren[11].
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 7. Juni 2021 – VIII B 123/20
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 05.02.2003 – V B 239/02, BFH/NV 2003, 800[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.10.2020 – 5 K 5093/20[↩][↩]
- BFH, Beschluss vom 06.09.2019 – III B 38/19, BFH/NV 2020, 91, Rz 8[↩]
- Rüsken in Gosch, FGO § 132 Rz 25; vgl. BFH, Beschluss vom 06.11.2006 – II B 45/05, BFH/NV 2007, 466[↩]
- s. z.B. BFH, Beschlüsse vom 03.12.1974 – VII B 88/74, BFHE 114, 173, BStBl II 1975, 235; vom 23.09.1985 – VI B 11/85, BFH/NV 1987, 374; vom 25.05.2004 – IV B 110/02, juris; diese Rechtsprechung als nicht abschließend geklärt in Frage stellend BFH, Beschluss vom 05.05.2017 – X B 36/17, BFH/NV 2017, 1183[↩]
- BGBl I 2017, 2208[↩]
- so auch Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 78 FGO Rz 137; Stalbold in Gosch, FGO § 78 Rz 56; kritisch auch Brandis in Tipke/Kruse, § 78 FGO Rz 20; Fu in Schwarz/Pahlke, FGO, § 78 Rz 76 ff.; wohl auch Bartone in: Kühn/v. Wedelstädt, 22. Aufl., FGO, § 78 Rz 6; anderer Ansicht Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 78 Rz 27; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 128 Rz 5[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Beschluss in BFH/NV 2003, 800[↩]
- BFH, Beschluss vom 23.07.2002 – X B 209/01, BFH/NV 2002, 1487[↩]
- s. BFH, Beschluss vom 29.08.2019 – X S 6/19, BFH/NV 2020, 25[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2020, 91; BFH, Beschluss vom 04.07.2019 – VIII B 51/19, BFH/NV 2019, 1235[↩]