Der Erlassantrag – als unerlaubte Hilfeleistung bei der Lohnsteuer

§ 6 Nr. 4 StBerG ist entsprechend seinem Wortlaut und unter Berücksichtigung der mit der Vorschrift verfolgten Zielsetzung und Entstehungsgeschichte eng auszulegen und auf die gesetzlich beschriebenen Tätigkeiten zu beschränken. Die Vorschrift kann nicht auf die Hilfeleistung in einem selbständigen Verwaltungsverfahren einer Finanzbehörde angewandt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn das Verwaltungsverfahren mit einer gemäß § 6 Nr. 4 StBerG zulässigen Tätigkeit im Zusammenhang steht (hier Antrag auf Erlass im Sinne von § 227 der Abgabenordnung im Zusammenhang mit einer Lohnsteuer-Anmeldung).

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte ein in der Rechtsform der UG (haftungsbeschränkt) geführtes inländisches selbständiges Buchführungsbüro geklagt. Diese UG führt Arbeiten im Sinne des § 6 Nr. 3 und 4 StBerG aus. Für die Firma B-GmbH ist sie seit circa 20 Jahren als Lohnbuchhaltungsbüro tätig. Das Finanzamt setzte gegen die B-GmbH einen Verspätungszuschlag zur Lohnsteuer-Anmeldung für September 2019 in Höhe von 180 € fest. Daraufhin wandte sich die Buchhalterin als Vertreterin der B-GmbH mit Schreiben vom 11.12.2019 an das Finanzamt und erklärte, die Lohnsteuer-Anmeldung für September 2019 sei urlaubsbedingt leider zu spät abgegeben worden. Wörtlich führte sie aus: „Da dies aber ein einmaliges Versehen war, bitten wir den Verspätungszuschlag zu erlassen.“ Das Finanzamt verstand dieses Schreiben als einen Erlassantrag und betrachtete die Tätigkeit der Buchhalterin insoweit als eine unbefugte geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen.

Per Verwaltungsakt wies das Finanzamt die Buchhalterin -unter Bezugnahme auf den Antrag auf Erlass eines Verspätungszuschlags- als Bevollmächtigte gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 AO mit Wirkung für alle anhängigen und zukünftigen Verwaltungsverfahren der B-GmbH im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes zurück, da sie unbefugt Hilfe in Steuersachen geleistet habe. Zudem teilte das Finanzamt der Buchhalterin mit, dass gemäß § 80 Abs. 10 AO alle Verfahrenshandlungen, die sie trotz Zurückweisung künftig für die B-GmbH vornehme, ohne steuerliche Wirkung blieben. Dem Verwaltungsakt war ein Merkblatt über die Tätigkeiten im Bereich der selbständigen Buchführungshilfe beigefügt. Darin waren Ausnahmen vom Verbot der Hilfeleistung in Steuersachen gemäß § 6 Nr. 3 und 4 StBerG erläutert. Weiter war ausgeführt: „Nicht zulässig sind mit der Buchführung zusammenhängende Beratungen der Mandanten oder deren Vertretung gegenüber den Finanzbehörden.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren von der UG erhobene Klage wies das Thüringer Finanzgericht als unbegründet ab[1]. Der Bundesfinanzhof sah dies ebenso und wies die Revision des Buchhaltungsbüros ebenfalls zurück:

Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 AO kann sich ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen.

Soweit ein Bevollmächtigter geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leistet, ohne dazu befugt zu sein, ist er gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 AO mit Wirkung für alle anhängigen und künftigen Verwaltungsverfahren des Vollmachtgebers im Zuständigkeitsbereich der Finanzbehörde zurückzuweisen. Die Zurückweisung ist gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 AO dem Vollmachtgeber und dem Bevollmächtigten bekannt zu geben. Gemäß § 80 Abs. 10 AO sind Verfahrenshandlungen, die ein Bevollmächtigter vornimmt, nachdem ihm die Zurückweisung bekannt gegeben worden ist, unwirksam.

Die Buchhalterin hat geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen geleistet.

Die Buchhalterin leistete Hilfe in Steuersachen.

Ob jemand zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist, richtet sich nach dem Steuerberatungsgesetz, das nach seinem § 1 Abs. 1 Nr. 1 unter anderem auf die Hilfeleistung in Angelegenheiten anzuwenden ist, die durch Bundesrecht geregelte Steuern und Vergütungen betreffen, soweit diese durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden[2]. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 StBerG umfasst die Hilfeleistung in Steuersachen auch die Hilfeleistung bei der Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie bei der Aufstellung von Abschlüssen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind.

Im Streitfall stellt die Hilfeleistung der Buchhalterin sowohl bei der Lohnbuchführung (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 StBerG) als auch bei der Lohnsteuer-Anmeldung und einem eventuellen Antrag auf Erlass im Sinne von § 227 AO im Zusammenhang mit einer Lohnsteuer-Anmeldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) eine Hilfeleistung in Steuersachen dar.

Diese Hilfe leistete die Buchhalterin geschäftsmäßig.

Die Hilfeleistung in Steuersachen erfolgt geschäftsmäßig, wenn der Leistende ausdrücklich oder erkennbar die Absicht verfolgt, die Tätigkeit in gleicher Art zu wiederholen und zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil seiner selbständigen Beschäftigung zu machen; selbständig handelt, wer sich nach eigenem Willen und in eigener Verantwortung, unabhängig von den Weisungen einer übergeordneten Person betätigt[3].

Nach den Feststellungen des Finanzgerichtes stellte die (Lohn-)Buchführung einen dauernden Bestandteil der selbständigen Beschäftigung der Buchhalterin als selbständiges Buchführungsbüro dar. Für die B-GmbH war die Buchhalterin seit 20 Jahren geschäftsmäßig tätig.

Die Buchhalterin hat auch dadurch geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen geleistet, dass sie für die B-GmbH mit Schreiben vom 11.12.2019 einen Antrag auf Erlass des Verspätungszuschlags zur Lohnsteuer-Anmeldung für September 2019 gestellt hat. Mit diesem Schreiben hat sie nach den bindenden Feststellungen des Finanzgerichtes nicht lediglich eine „Bitte“ geäußert.

Die Auslegung von Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, das heißt jedenfalls möglich ist. Das Revisionsgericht prüft somit lediglich, ob das Finanzgericht die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat[4].

Das Finanzgericht hat festgestellt, die Buchhalterin habe mit ihrem Schreiben vom 11.12.2019 einen Antrag auf Erlass des Verspätungszuschlags zur Lohnsteuer-Anmeldung gestellt und nicht lediglich eine „Bitte“ formuliert. Diese Auslegung entspricht den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Das Finanzgericht hat erkannt, dass das Schreiben vom 11.12.2019 auslegungsbedürftig ist, weil es nach seinem Wortlaut und Zweck keinen eindeutigen Inhalt hatte. Denn mit einer „Bitte“ hätte die Buchhalterin -wie sie selbst vorträgt- eine positive Reaktion nicht erwarten und ihr Ziel eines Erlasses nicht erreichen können. Ausgehend davon, wie die Erklärung vom Empfänger nach ihrem objektiven Erklärungswert verstanden werden musste[5], erscheint es jedenfalls möglich und vertretbar, das Schreiben vom 11.12.2019 als Antrag auf Erlass des Verspätungszuschlags auszulegen.

Die Buchhalterin war jedoch nicht befugt, im Rahmen ihrer geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen einen Antrag auf Erlass des Verspätungszuschlags zur Lohnsteuer-Anmeldung zu stellen.

Gemäß § 2 Satz 1 StBerG (ab 01.08.2022: § 2 Abs. 1 Satz 1 StBerG) darf die Hilfeleistung in Steuersachen geschäftsmäßig nur von Personen und Vereinigungen ausgeübt werden, die hierzu befugt sind. Zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen sind die in § 3 StBerG bezeichneten Personen befugt, zum Beispiel Steuerberater (§ 3 Satz 1 Nr. 1 Variante 1 StBerG). Aus § 3a StBerG ergibt sich für bestimmte Personen und Vereinigungen eine Befugnis zur vorübergehenden und gelegentlichen geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen, aus § 4 StBerG eine Befugnis zu beschränkter Hilfeleistung in Steuersachen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 StBerG in der im Streitfall bis zum 31.07.2022 anwendbaren Fassung dürfen andere als die in den §§ 3, 3a und 4 StBerG bezeichneten Personen und Vereinigungen nicht geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, insbesondere nicht geschäftsmäßig Rat in Steuersachen erteilen.

Eine Befugnis der Buchhalterin ergibt sich nicht aus §§ 3, 3a und 4 StBerG, weil sie als Buchführungsbüro nicht zu den in §§ 3, 3a und 4 StBerG bezeichneten Personen und Vereinigungen gehört.

Die Buchhalterin kann für den beschriebenen Erlassantrag eine Ausnahme von dem Verbot der unbefugten Hilfeleistung in Steuersachen nicht aus § 6 Nr. 4 StBerG ableiten.

Das Verbot des § 5 StBerG gilt gemäß § 6 Nr. 4 StBerG nicht für das Buchen laufender Geschäftsvorfälle, die laufende Lohnabrechnung und das Fertigen der Lohnsteuer-Anmeldungen, soweit diese Tätigkeiten verantwortlich durch Personen erbracht werden, die nach Bestehen der Abschlussprüfung in einem kaufmännischen Ausbildungsberuf oder nach Erwerb einer gleichwertigen Vorbildung mindestens drei Jahre auf dem Gebiet des Buchhaltungswesens in einem Umfang von mindestens 16 Wochenstunden praktisch tätig gewesen sind.

§ 6 Nr. 4 StBerG ist entsprechend seinem Wortlaut und unter Berücksichtigung der mit der Vorschrift verfolgten Zielsetzung und Entstehungsgeschichte eng auszulegen und auf die gesetzlich beschriebenen Tätigkeiten zu beschränken. Die Vorschrift kann nicht auf die Hilfeleistung in einem selbständigen Verwaltungsverfahren einer Finanzbehörde angewandt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn das Verwaltungsverfahren mit einer gemäß § 6 Nr. 4 StBerG zulässigen Tätigkeit im Zusammenhang steht.

Die genannte Vorschrift geht auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zurück. Mit Beschluss vom 18.06.1980[6] hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das frühere Buchführungsprivileg für steuerberatende Berufe mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar ist, soweit das geschäftsmäßige Kontieren von Belegen Personen untersagt wird, die eine kaufmännische Gehilfenprüfung bestanden hatten. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht unterschieden zwischen einer Steuerberatung im Sinne einer Rechtsberatung in Steuersachen einerseits, wozu die Einrichtung der Buchführung mit einem Kontenplan und die Aufstellung des Jahresabschlusses zählen, und der Verbuchung der laufenden Geschäftsvorfälle andererseits, welche keine besonderen handels- und steuerrechtlichen Kenntnisse erfordert[7]. Die letztgenannten Tätigkeiten dürfen nicht den steuerberatenden Berufen vorbehalten bleiben.

Zudem hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27.01.1982[8] entschieden, dass das Buchführungsprivileg für steuerberatende Berufe auch hinsichtlich der laufenden Lohnbuchhaltung mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar ist.

Als Reaktion auf diese Entscheidungen hat der Gesetzgeber § 6 Nr. 4 StBerG durch Art. 1 Nr. 4 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 09.06.1989[9] eingeführt. Seine heutige Fassung hat die Vorschrift durch eine Änderung aufgrund von Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Steuerberater (7. StBÄndG) vom 24.06.2000[10] erhalten. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem erstgenannten Gesetz war ausgeführt, § 6 Nr. 4 trage den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts[11] Rechnung[12]. Dementsprechend werde das Buchen laufender Geschäftsvorfälle, die laufende Lohnabrechnung und das Fertigen von Lohnsteuer-Anmeldungen vom Verbot der unbefugten Hilfeleistung in Steuersachen ausgenommen, soweit diese Tätigkeiten verantwortlich durch Personen erbracht würden, die über eine ausreichende Ausbildung und berufliche Erfahrung verfügten. Weiter war im Gesetzentwurf ausgeführt, da auch das Fertigen der laufenden Lohnsteuer-Anmeldungen im Allgemeinen keine schwierigen rechtlichen Wertungen verlange, werde diese Tätigkeit vom Verbot der unbefugten Hilfeleistung in Steuersachen ausgenommen. Mit dem BVerfG sei davon auszugehen, dass die zur laufenden Lohnabrechnung befugten Personen in der Lage seien, bei schwierigen Steuerrechtsfragen einen qualifizierten steuerlichen Berater hinzuzuziehen und ihm die Beratung in diesen Sachen zu überlassen. Die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs im Betrieb und die Vorbereitung anderer Steueranmeldungen als der Lohnsteuer-Anmeldung würden dagegen von dieser Vorschrift nicht erfasst[13].

Nach Maßgabe der zitierten Rechtsprechung des BVerfG ist zu unterscheiden zwischen der Steuerberatung einerseits, die einem grundsätzlichen Verbot der unbefugten Hilfeleistung unterliegt, und den von diesem Verbot auszunehmenden Tätigkeiten andererseits, die keine besonderen handels- und steuerrechtlichen Kenntnisse erfordern und bei denen qualitätssichernde Vorgaben nicht oder nur eingeschränkt geboten erscheinen[14]. Daraus ergibt sich ein Verhältnis von Regel und Ausnahme, welches auch im Gesetzgebungsverfahren für das Vierte Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes beschrieben worden ist[15]. Diese Entstehungsgeschichte lässt eine enge Wortlautauslegung des § 6 Nr. 4 StBerG geboten erscheinen.

Ausgehend hiervon hat der auch hier entscheidende VII. Senat des Bundesfinanzhofs bereits in einer früheren Entscheidung eine erweiternde Anwendung der oben dargelegten Rechtsgrundsätze des BVerfG auf die Hilfeleistung bei der Erstellung von Umsatzsteuervoranmeldungen abgelehnt[16]. Weiter hat er aus den zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gefolgert, dass das Verbot der unbefugten Hilfeleistung bei der Führung steuerlich bedeutsamer Bücher und Aufzeichnungen, soweit dessen Unvereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht ausdrücklich festgestellt worden sei, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei[17].

Der II. Senat des Bundesfinanzhofs hat diese Rechtsprechung fortgeführt und entschieden, dass die Erstellung von Umsatzsteuervoranmeldungen vom Anwendungsbereich des § 6 Nr. 4 StBerG auch dann nicht erfasst sei, wenn das verwendete Buchführungsprogramm es ermögliche, die Umsatzsteuervoranmeldungen aufgrund der Buchführung automatisch zu erstellen[18]. Dabei hat sich der II. Senat des Bundesfinanzhofs maßgeblich von der Erwägung leiten lassen, dass das Fertigen einer Umsatzsteuervoranmeldung kein bloßes mechanisches Rechenwerk darstelle, sondern ein eigenverantwortliches und sachkundiges Tätigwerden erfordere. Dass der Gesetzgeber diese Tätigkeit den Personen vorbehalte, die aufgrund einer sachgerechten Vorbildung zur Hilfeleistung in Steuersachen zugelassen seien, sei kein Eingriff in die Berufsfreiheit, der weitergehe, als es die sie legitimierenden öffentlichen Interessen erforderten. Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat diese Rechtsprechung mit Beschluss vom 23.11.2020 bestätigt[19] bestätigt.

Unter Berücksichtigung dieser am Ausnahmecharakter des § 6 Nr. 4 StBerG orientierten engen Auslegung kann die Vorschrift nicht auf die Hilfeleistung in einem selbständigen Verwaltungsverfahren einer Finanzbehörde angewandt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn das Verwaltungsverfahren mit einer gemäß § 6 Nr. 4 StBerG zulässigen Tätigkeit im Zusammenhang steht. Denn die Hilfeleistung in einem solchen Verfahren ist vom Wortlaut des § 6 Nr. 4 StBerG nicht erfasst. Diese Vorschrift benennt lediglich bestimmte Tätigkeiten, und zwar das Buchen laufender Geschäftsvorfälle, die laufende Lohnabrechnung und das Fertigen der Lohnsteuer-Anmeldungen. Die damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten sind nicht eingeschlossen.

Eine Ausdehnung des § 6 Nr. 4 StBerG auf die Hilfeleistung in einem selbständigen Verwaltungsverfahren einer Finanzbehörde kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil diese Tätigkeit nach der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Einordnung zu denjenigen Tätigkeiten zählt, die als Steuerberatung dem grundsätzlichen Verbot der unbefugten Hilfeleistung unterliegen. Es handelt sich nicht -im Sinne eines Ausnahmefalls- um eine Tätigkeit, die keine besonderen handels- und steuerrechtlichen Kenntnisse erfordert und bei der qualitätssichernde Vorgaben nicht oder nur eingeschränkt geboten erscheinen würden. Die Hilfeleistung in einem selbständigen Verwaltungsverfahren setzt vielmehr vertiefte verfahrensrechtliche Kenntnisse voraus, beginnend etwa mit der Frage, welches Rechtsmittel oder welcher Antrag im Einzelfall statthaft ist. Ebenso muss der Verfahrensvertreter abzuschätzen vermögen, ob der statthafte Rechtsbehelf oder Antrag nach den Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen Norm in der Sache erfolgversprechend sein könnte, und er muss imstande sein, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen gegenüber der Behörde anhand des Sachverhalts darzulegen. Dies erfordert vertiefte verfahrensrechtliche und je nach Gegenstand auch materiell-rechtliche Kenntnisse. Der Umstand, dass das Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit einer nach § 6 Nr. 4 StBerG zulässigen Tätigkeit -im Streitfall einer Lohnsteuer-Anmeldung- steht, vermag hieran nichts zu ändern. Denn dies ändert nichts am Erfordernis der vertieften verfahrensrechtlichen Kenntnisse des Vertreters.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt die streitgegenständliche Tätigkeit der Buchhalterin, die Stellung eines Antrags auf Erlass eines Verspätungszuschlags zur Lohnsteuer-Anmeldung gemäß § 227 AO, keine gemäß § 6 Nr. 4 StBerG zulässige Tätigkeit dar.

Bei einem Erlassverfahren gemäß § 227 AO handelt es sich um ein selbständiges Verwaltungsverfahren, das von dem Steuerfestsetzungsverfahren abzugrenzen ist und zu einer Zweigleisigkeit der Verfahren führt[20]. Die Entscheidung über den Erlass stellt eine gegenüber der Steuerfestsetzung selbständige Regelung durch einen selbständigen Verwaltungsakt dar[21].

Zudem handelt es sich auch bei einem Verfahren wegen der Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Lohnsteuer-Anmeldung gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1, Abs. 8 AO um ein gegenüber der Steueranmeldung abzugrenzendes Verfahren. Die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist ein selbständiger Verwaltungsakt[22].

Wegen der Selbständigkeit sowohl des Verfahrens über die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Lohnsteuer-Anmeldung als auch des Antrags auf Erlass des Verspätungszuschlags gegenüber der -der Buchhalterin gestatteten- Lohnsteuer-Anmeldung war die Buchhalterin gemäß § 6 Nr. 4 StBerG nicht befugt, den Erlassantrag zu stellen. § 6 Nr. 4 StBerG kann -wie beschrieben- nicht auf die Hilfeleistung in einem selbständigen Verwaltungsverfahren einer Finanzbehörde angewandt werden[23]. Es handelt sich insoweit nicht um eine bloße „Annextätigkeit“ zu dem Fertigen der Lohnsteuer-Anmeldungen von § 6 Nr. 4 StBerG.

Entgegen der Auffassung der Buchhalterin sind auch weder die Festsetzung des Verspätungszuschlags noch das Verfahren über den Erlass eines solchen Verspätungszuschlags mit der Berichtigung, Ergänzung oder Rücknahme der Lohnsteuer-Anmeldung zu vergleichen. Dies folgt schon allein daraus, dass eine Lohnsteuer-Anmeldung stets berichtigungsfähig ist, die Festsetzung eines Verspätungszuschlags oder die Ablehnung eines Erlassantrags hingegen nach deren Bestandskraft grundsätzlich nicht mehr änderbar sind[24]. Auch die von der Buchhalterin erwähnten Vorschriften zur elektronischen Datenverarbeitung vermögen daran nichts zu ändern.

Das Finanzamt hat die Buchhalterin daher zu Recht gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 AO mit Wirkung für alle anhängigen und künftigen Verwaltungsverfahren des Vollmachtgebers im Zuständigkeitsbereich der Finanzbehörde zurückgewiesen. Dabei hat sie die Zurückweisung auf den Antrag auf Erlass eines Verspätungszuschlags beschränkt. Diese Beschränkung ergab sich jedenfalls aus dem an die Buchhalterin gerichteten Schreiben vom 04.02.2020.

Das Finanzamt hat zudem die Buchhalterin zutreffend auf die Regelung des § 80 Abs. 10 AO hingewiesen. Ebenso hat das Finanzamt folgerichtig gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 AO die Zurückweisung dem Vollmachtgeber, der B-GmbH, bekannt gegeben.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. April 2024 – VII R 22/21

  1. Thür.FG, Urteil vom 20.05.2021 – 3 K 266/20[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 07.06.2017 – II R 22/15, BFHE 258, 380, BStBl II 2017, 973, Rz 11[]
  3. BFH, Urteil vom 07.06.2017 – II R 22/15, BFHE 258, 380, BStBl II 2017, 973, Rz 12[]
  4. BFH, Urteil vom 29.08.2023 – VII R 1/23, Rz 28, m.w.N.[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 29.08.2023 – VII R 1/23, Rz 26[]
  6. BVerfG, Beschluss vom 18.06.1980 – 1 BvR 697/77, BVerfGE 54, 301, BStBl II 1980, 706[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 18.06.1980 – 1 BvR 697/77, BVerfGE 54, 301, BStBl II 1980, 706, unter B.II. 3.a aa und bb der Gründe[]
  8. BVerfG, Beschluss vom 27.01.1982 – 1 BvR 807/80, BVerfGE 59, 302, BStBl II 1982, 281[]
  9. BGBl I 1989, 1062[]
  10. BGBl I 2000, 874[]
  11. BVerfG, Beschlüsse vom 18.06.1980 – 1 BvR 697/77, BVerfGE 54, 301, BStBl II 1980, 706; und vom 27.01.1982 – 1 BvR 807/80, BVerfGE 59, 302, BStBl II 1982, 281[]
  12. BT-Drs. 11/3915, S. 17[]
  13. BT-Drs. 11/3915, S. 18[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 28.03.2023 – II ZB 11/22, Rz 49; BGH, Urteil vom 02.05.2019 – IX ZR 11/18, Rz 19 ff.[]
  15. BT-Drs. 11/3915, S. 17 und 18[]
  16. BFH, Urteil vom 01.03.1983 – VII R 27/82, BFHE 138, 129, BStBl II 1983, 318, unter B.I. 2.c der Gründe[]
  17. BFH, Urteil vom 12.01.1988 – VII R 60/86, BFHE 152, 393, BStBl II 1988, 380, unter II. 1. der Gründe[]
  18. BFH, Urteil vom 07.06.2017 – II R 22/15, BFHE 258, 380, BStBl II 2017, 973, Rz 21[]
  19. BFH, Beschluss vom 23.11.2020 – VII B 37/20, nicht veröffentlicht[]
  20. BFH, Beschluss vom 30.01.2007 – VII B 337/05, BFH/NV 2007, 1323, unter II. 1. der Gründe[]
  21. von Groll in HHSp, § 227 AO Rz 338 und 371; Koenig/Klüger, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 227 Rz 59; Oellerich in Gosch, AO § 227 Rz 105[]
  22. vgl. Schober in Gosch, AO § 152 Rz 135[]
  23. vgl. auch Raab in Kuhls, Kommentar zum StBerG, § 6 Rz 28 zum Stundungsantrag[]
  24. vgl. BFH, Urteil vom 17.03.1987 – VII R 26/84, BFH/NV 1987, 620[]