Wirtschaftsprüfer – und das Verbot gewerblicher Tätigkeit

Die Betätigung in einem geschäftsführenden Organ einer Kapitalgesellschaft unterfällt dem Verbot der gewerblichen Betätigung im Sinne des § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO. Das Verbot, neben einer Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer gewerbliche Tätigkeiten auszuüben, ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts mit Unions- und Verfassungsrecht vereinbar.

Wirtschaftsprüfer – und das Verbot gewerblicher Tätigkeit

Dies gilt auch für die Tätigkeit im Verwaltungsrat einer schweizerischen Aktiengesellschaft. Die Funktion als Vorsitzender des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft ist mit dem Beruf als Wirtschaftsprüfer auch dann unvereinbar, wenn eine andere Person als Bevollmächtigter des Verwaltungsrats mit der Geschäftsführung betraut wird.

Diese Tätigkeit unterfällt dem Verbot der gewerblichen Tätigkeit in § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO. Gewerblich im Sinne der Vorschrift sind selbständige und dauerhaft ausgeübte Tätigkeiten, die maßgeblich von erwerbswirtschaftlichem Streben nach Gewinn gekennzeichnet sind. Unerheblich ist insoweit, ob der Wirtschaftsprüfer im eigenen oder fremden wirtschaftlichen Interesse handelt und in welcher Rechtsform die Tätigkeit ausgeübt wird. Da die Wirtschaftsprüferordnung den Begriff der gewerblichen Tätigkeit selbst nicht näher erläutert, muss der berufsrechtliche Gewerbebegriff mit den Merkmalen der Selbständigkeit, der Dauerhaftigkeit und des Gewinnstrebens Ausgangspunkt für seine Interpretation sein[1]. Erfasst werden damit auch organschaftliche Betätigungen eines Wirtschaftsprüfers für einen Unternehmensträger, die durch die gewerbliche Tätigkeit des Unternehmensträgers geprägt werden und sich daher ebenfalls als gewerblich darstellen. Eine Beschränkung des Begriffs auf Handeln im eigenen wirtschaftlichen Interesse widerspräche den Schutzzwecken der Vorschrift. Das Verbot der gewerblichen Betätigung dient einerseits dem Schutz des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Richtigkeit von Jahresabschlüssen und der darauf gegründeten wirtschaftlichen Entscheidungen[2] und andererseits dem Schutz der Mandanten des Wirtschaftsprüfers davor, dass der Wirtschaftsprüfer die im Rahmen seiner Berufstätigkeit erworbenen Kenntnisse der Geschäftsvorgänge seines Mandanten im eigenen oder fremden wirtschaftlichen Interesse verwertet[3]. Beiden Schutzzwecken ist nur dann genügt, wenn dem Wirtschaftsprüfer eine gewerbliche Tätigkeit untersagt ist. Das gilt auch für eine gewerbliche Tätigkeit in fremdem wirtschaftlichen Interesse. Für die Öffentlichkeit und die von ihm geprüften Mandanten ist unerheblich, ob das Handeln des Wirtschaftsprüfers durch eigene oder fremde wirtschaftliche Interessen beeinflusst wird und ob er selbst oder andere von im Rahmen einer Prüfung erlangten Informationen profitieren.

Unerheblich ist schließlich, in welchem Rechtsverhältnis der Wirtschaftsprüfer zum Träger eines gewerblich tätigen Unternehmens steht. § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO wird insbesondere nicht verdrängt, soweit § 43a Abs. 3 Nr. 2 WPO anwendbar ist. Die Vorschrift des § 43a Abs. 3 Nr. 2 WPO legt fest, dass Tätigkeiten aufgrund eines Anstellungsvertrags grundsätzlich ebenfalls mit der Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer unvereinbar sind. Die Vorschrift sichert die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers und ist nach Wortlaut, Systematik und Regelungszweck neben § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO anzuwenden.

Auf der Grundlage der das Bundesverwaltungsgericht bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Inhalt des Schweizer Obligationenrechts (§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO) stellt sich die Tätigkeit des Vorsitzenden des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft als gewerblich dar. Dieses organschaftliche Handeln wird durch den gewerblichen Charakter der unternehmerischen Tätigkeit der Aktiengesellschaft geprägt. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist der Verwaltungsrat als Kollegialorgan nach Schweizer Recht nicht nur für die Aufsicht über die Gesellschaft, sondern grundsätzlich auch für die gesamte Geschäftsführungstätigkeit und damit für die Verwirklichung des gewerblichen Unternehmenszwecks zuständig. Als Geschäftsführungsorgan muss der Verwaltungsrat mithin selbst aktiv mit Streben nach Gewinn für die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen. Sein Tun unterscheidet sich von der Tätigkeit eines selbständigen Kaufmanns lediglich dadurch, dass er nicht eigene, sondern fremde Gewinnerzielungsabsichten verfolgt.

Der Ausschluss des Wirtschaftsprüfers von der Wahrnehmung des Vorsitzes des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

§ 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO greift mit dem Verbot, neben dem Beruf als Wirtschaftsprüfer eine gewerbliche Tätigkeit als Zweitberuf auszuüben, in die Freiheit der Berufswahl ein[4].

Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt und insbesondere verhältnismäßig. § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO dient den verfassungsrechtlich legitimen Zwecken, die Unabhängigkeit der Berufsausübung von Wirtschaftsprüfern und den Schutz der Mandantendaten zu sichern[5]. Der Ausschluss gewerblicher Zweitberufe ist zur Verwirklichung dieser Zwecke aus den zum Schutzzweck der Norm dargelegten Gründen auch geeignet. Für die Erforderlichkeit des Eingriffs kommt es darauf an, welche wirtschaftlichen Folgen eine Berufssperre für die Bewerber verursacht und welchen Aufwand es kostet, die Sperre zu übersteigen[6]. Inkompatibilitätsvorschriften wie die vorliegende sind nur dort erforderlich und zumutbar, wo die Gefahr einer Interessenkollision sich deutlich abzeichnet und nicht mit Hilfe von Berufsausübungsregelungen zu bannen ist[7]. Aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.08.2013[8] folgt nichts anderes. Er geht von denselben verfassungsrechtlichen Maßstäben aus und prüft lediglich die verfassungskonforme Auslegung einer Vorschrift, die eine ausnahmsweise Befreiung vom generellen Verbot gewerblicher Betätigung vorsieht, ohne generelle Verbote für andere Berufszweige für schlechthin verfassungswidrig zu erklären.

§ 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO, der auf die abstrakte Gefährdung der Verletzung von Berufspflichten abstellt, ist nach den dargelegten Maßstäben zur Verwirklichung der legitimen Regelungszwecke erforderlich. Mildere Mittel genügen nicht, die Gefahr der Zweckentfremdung der im Rahmen der Prüfungstätigkeit erlangten Informationen für fremde wirtschaftliche Interessen auszuschließen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit der Berufsausübung der Wirtschaftsprüfer und damit in die Ergebnisse ihrer Berufstätigkeit zu sichern. Dies gilt auch, soweit die Vorschrift die Tätigkeit als Vorsitzender des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft erfasst. Bei dieser Tätigkeit zeichnet sich, wie bei jeder anderen gewerblichen Tätigkeit eines Wirtschaftsprüfers auch, die Gefahr von Interessenkonflikten deutlich ab. Wirtschaftsprüfer erlangen im Rahmen ihrer Tätigkeit umfangreiche Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der von ihnen geprüften (§ 2 Abs. 1 WPO), steuerlich (§ 2 Abs. 2 WPO) und im Übrigen beratenen (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 WPO) Mandanten. Vergleichbare Einblicke erhalten sie bei der Begutachtung der Betriebsführung (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 WPO) und bei treuhänderisch verwalteten Unternehmen (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 WPO). Würde ein Wirtschaftsprüfer im eigenen oder fremden wirtschaftlichen Interesse gewerblich tätig, könnte er aufgrund des Umfangs und der Vielfalt der ihm im Rahmen seiner Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer zu offenbarenden Umstände jederzeit vor dem Problem stehen, wirtschaftliche Entscheidungen treffen zu müssen, für die Informationen relevant sind, die er aus seiner Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer erlangt hat. Das gilt auch für die Tätigkeit als Vorsitzender des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft – und zwar selbst dann, wenn der Wirtschaftsprüfer die nach § 57a WPO geforderte Qualitätskontrolle nicht absolviert hat und daher keine gesetzlich vorgeschriebenen Abschlussprüfungen durchführen darf. Denn auch bei nicht prüfungsberechtigten Wirtschaftsprüfern besteht die Gefahr von Interessenkonflikten im Hinblick auf die von ihnen im Rahmen von Beratungsmandaten erlangten Informationen über ihre Mandanten.

Der Gefahr von Interessenkollisionen kann nicht wirksam durch bloße Berufsausübungsregelungen entgegengewirkt werden, etwa durch Schaffung von § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG oder § 8 Abs. 3 BNotO entsprechenden Ausnahmevorschriften oder durch Vorschriften zur nachgelagerten Kontrolle einer gewerblichen Betätigung. Das folgt insbesondere aus der Vielzahl der Umstände, über die der Wirtschaftsprüfer im Rahmen seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt. Die Informationen, die er von seinen Mandanten erhält, unterscheiden sich von den Informationen, die anderen Freiberuflern üblicherweise offenbart werden, sowohl durch ihre Breite und als auch durch ihre Tiefe. Rechtsanwälte, Steuerberater und Notare sind üblicherweise nur punktuell in Bezug auf den jeweils bearbeiteten konkreten Fall informiert. Sie erhalten regelmäßig nur die Informationen, die der Mandant freiwillig übermittelt. Im Gegensatz dazu müssen Wirtschaftsprüfer über das geprüfte Unternehmen im Prüfungszeitraum vollständig informiert werden und gegebenenfalls eigenen Zugang zu den Unterlagen haben. Dabei werden sie immer auch mit Daten konfrontiert, die für eine eigene gewerbliche Tätigkeit von Bedeutung sein können. Die Bildung von Bereichen gewerblicher Tätigkeit, bei der die Gefahr von Interessenkonflikten typischerweise nicht besteht und ein generelles Verbot der gewerblichen Betätigung nicht erforderlich ist, um eine interessenkonfliktfreie Berufsausübung zu gewährleisten, ist nicht möglich. So können etwa finanzwirtschaftliche Daten auch branchenunabhängig von Interesse sein. Überdies könnte der Wirtschaftsprüfer jederzeit neue Mandate übernehmen oder den Gegenstand seiner gewerblichen Tätigkeit so ändern, dass früher erworbene Informationen für seine gewerbliche Tätigkeit an Bedeutung gewinnen oder neue Informationen Interessenkonflikte auslösen.

Schließlich streitet die staatliche Schutzverpflichtung für die Grundrechte der durch Wirtschaftsprüfer geprüften Unternehmen dagegen, die Vermeidung von Interessenkonflikten erst auf der Ebene der Berufsausübung zu regeln. Die staatliche Anordnung, Jahresabschlüsse durch Wirtschaftsprüfer kontrollieren zu lassen, stellt einen Eingriff in das Recht der geprüften Unternehmen auf informationelle Selbstbestimmung dar, auf das sich nach Art.19 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG auch juristische Personen berufen können[9]. Dieser Eingriff lässt sich mit dem Zweck, Vertrauen in die Richtigkeit von Jahresabschlüssen zu sichern, nur dann rechtfertigen, wenn er das Erforderliche und Angemessene nicht überschreitet. Angesichts der umfassenden Informationen, die das geprüfte Unternehmen offenbaren muss, hat der Staat besonders wirksame Vorkehrungen dafür zu treffen, dass diese Informationen nicht zum Nachteil des Geprüften verwendet werden. Eine Regelung, die Interessenkonflikte lediglich durch Beschränkungen der gewerblichen Zweitberufsausübung zu lösen versuchte, wäre kaum lückenlos zu treffen und zudem auf eine nur ex post wirkende, ihrerseits lückenlose aktive Berufsaufsicht angewiesen und daher nicht ebenso effektiv.

Unionsrecht steht der Anwendung des § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO nicht entgegen.

Unterstellt man die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.05.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates[10] zugunsten des Wirtschaftsprüfers, steht diese weder in ihrer ursprünglichen noch in ihrer durch die Richtlinie 2014/56/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.04.2014[11] geänderten, bis zum 17.06.2016 umzusetzenden Fassung der Anwendung des § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO entgegen. Die Richtlinie 2006/43/EG enthält weder in ihrer Ursprungs- noch in ihrer Änderungsfassung Regelungen über die Vereinbarkeit von gewerblichen Tätigkeiten mit der Tätigkeit als Abschlussprüfer. Daraus folgt nicht, wie der Wirtschaftsprüfer meint, dass die Mitgliedstaaten gehindert wären, solche in eigener Kompetenz zu erlassen. Sowohl die Ursprungs- als auch die Änderungsfassung der Richtlinie 2006/43/EG erheben nicht den Anspruch, den Beruf des Wirtschaftsprüfers (einschließlich der Vorschriften über die Vereinbarkeit dieses Berufs mit anderen Berufen) abschließend zu regeln.

Beide Fassungen der Richtlinie 2006/43/EG legen ihrem Wortlaut, ihrer Systematik und den Erwägungsgründen nach lediglich die Anforderungen an Abschlussprüfungen fest. Sie definieren weder das Berufsbild eines Abschluss- noch gar das eines Wirtschaftsprüfers abschließend. Art. 1 der Richtlinie 2006/43/EG formuliert, die Richtlinie regele die Abschlussprüfung des Jahresabschlusses. Im fünften Erwägungsgrund der ursprünglichen Fassung wird weiter ausgeführt, Ziel der Richtlinie sei eine Harmonisierung der Anforderungen an die Abschlussprüfung auf hohem Niveau. Im Folgenden werden dann zwar sowohl die Anforderungen an die Qualität der Abschlussprüfer[12] als auch an die Abschlussprüfung selbst[13] beschrieben, was dafür sprechen könnte, dass die Richtlinie auch das Berufsbild des Abschlussprüfers regeln möchte. Soweit die Richtlinie in ihrer Ursprungs- und der Änderungsfassung sodann jedoch Regelungen über die Berufsgrundsätze der Abschlussprüfer (Art. 21 bis 25 der Richtlinie 2006/43/EG) trifft, beschränkt sie sich auf solche berufsrechtlichen Regelungen, die erforderlich sind, um den angestrebten Qualitätsstandard der Abschlussprüfungen zu erreichen. Dementsprechend knüpfen die Vorschriften über inkompatible Tätigkeiten an konkrete Prüfungsvorgänge und eine damit unvereinbare wirtschaftliche oder persönliche Nähe im Vorfeld oder im Nachgang der Prüfung an[14]. Darüber hinausgehende Inkompatibilitäten, die ihre Ursache in dem rechtlichen Pflichtenkreis eines Zweitberufs haben können, thematisiert die Richtlinie nicht.

Die Mitgliedstaaten sind daher nicht gehindert, insoweit eigene Regelungen zu treffen. Dafür, dass die Union ihnen diese Spielräume lassen wollte, spricht zunächst, dass eine Richtlinie und keine Verordnung erlassen wurde. Für mitgliedstaatliche Regelungsspielräume sprechen weiter die Erwägungsgründe der ursprünglichen Richtlinienfassung. Der fünfte Erwägungsgrund führt aus, angestrebt werde eine Harmonisierung auf hohem Niveau, wenn auch keine vollständige Harmonisierung. Strengere mitgliedstaatliche Regelungen werden ausdrücklich für möglich erklärt. An diesem Konzept hält die Richtlinie auch in ihrer Änderungsfassung fest, indem sie im ersten Erwägungsgrund ausführt, es gehe darum, die Bedingungen für die Zulassung von Personen, die Abschlussprüfungen durchführen, die Vorschriften über deren Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Berufsgrundsätze weiter zu harmonisieren und das Mindestmaß der Angleichung bei den Prüfungsstandards zu erhöhen. Bestätigt wird dies durch den 31. Erwägungsgrund der Änderungsrichtlinie 2014/56/EU, in dem der Richtliniengeber unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck bringt, er wolle nur insoweit Regelungsvorgaben machen, als das Regelungsziel einer qualitativen Verbesserung der in der Union durchgeführten Abschlussprüfungen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden könne. Dem entspricht, dass Art. 21 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2006/43/EG sowohl in der Ursprungs- als auch in der Änderungsfassung die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Berufsgrundsätze für Abschlussprüfer aufzustellen, die zumindest das öffentliche Interesse, ihre Integrität und Unparteilichkeit sowie ihre Fachkompetenz und Sorgfalt zum Gegenstand haben. Wenn Art. 21 Abs. 1 Satz 2 der genannten Richtlinie aber nur bestimmte Mindestgrundsätze verlangt, folgt daraus ohne weiteres, dass der nationale Gesetzgeber weitere aufstellen darf. Hinzu kommt schließlich, dass das nationale Berufsbild des Wirtschaftsprüfers und das Tätigkeitsfeld des Abschlussprüfers nach Unionsrecht lediglich teilidentisch sind. Nach den Regelungen der Wirtschaftsprüferordnung wird das Berufsbild des Wirtschaftsprüfers nicht nur durch die Vornahme von betriebswirtschaftlichen Prüfungen geprägt, sondern auch durch Beratungstätigkeit, treuhänderische Verwaltung und sachverständige Begutachtungen (§ 2 Abs. 3 WPO). Auch führt nicht jeder Wirtschaftsprüfer Abschlussprüfungen durch. Voraussetzung ist vielmehr, dass er über die Zulassung zum Beruf des Wirtschaftsprüfers hinaus auch die gesetzlich vorgeschriebene Qualitätskontrolle durchlaufen hat (§ 57a WPO).

Entgegen der Ansicht des Wirtschaftsprüfers stehen auch Art. 15 Abs. 1, Art. 16 GRC der Anwendung des § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO nicht entgegen. Die genannten Grundrechte sind bereits nicht anwendbar, Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC. Die Charta der Grundrechte ist von den Mitgliedstaaten nur bei der Durchführung des Unionsrechts zu beachten. Eine solche Durchführung ist anzunehmen, wenn ein Zusammenhang eines nationalen Hoheitsaktes mit dem Unionsrecht besteht, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind, oder wenn der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann[15]. Insoweit kommt es darauf an, ob die nationale Regelung die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt oder andere als unter das Unionsrecht fallende Ziele verfolgt und ob es Regelungen des Unionsrechts gibt, die für die durch den nationalen Hoheitsakt geregelte Materie spezifisch sind oder ihn beeinflussen können[16]. Ein solcher Zusammenhang zwischen § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO und dem Unionsrecht ist vorliegend zu verneinen. Dessen Gestaltungsanspruch beschränkt sich auf die Regelung der Mindestqualitätsanforderungen der Abschlussprüfung. § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO stellt sich mithin weder als Umsetzung von Regelungsaufträgen des Unionsrechts dar, noch gibt es Unionsrecht, welches das Berufsfeld des Wirtschaftsprüfers generell betrifft.

Der Wirtschaftsprüfer wird schließlich durch § 43a Abs. 3 Nr. 1 WPO nicht in seiner Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 56 AEUV beeinträchtigt. Die genannten Vorschriften gelten für die vom Wirtschaftsprüfer in der Schweiz beabsichtigte Tätigkeit nicht. Insbesondere ist den vom Wirtschaftsprüfer zitierten Vorschriften der Art. 4, 5, 7 Buchst. b und Art. 16 FZA-CH i.V.m. Anhang I FZA-CH ihrem klaren Wortlaut nach die von ihm behauptete Geltung nicht zu entnehmen.

Die Funktion als Vorsitzender des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft ist mit dem Beruf als Wirtschaftsprüfer auch dann unvereinbar, wenn eine andere Person als Bevollmächtigter des Verwaltungsrats mit der Geschäftsführung betraut wird.

Im vorliegenden Fall stellt sich die Tätigkeit als Vorsitzender des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft auch dann noch als gewerbliche Tätigkeit dar. Das vom Wirtschaftsprüfer angestrebte organschaftliche Handeln wird auch dann noch durch den gewerblichen Charakter der unternehmerischen Tätigkeit von Schweizer Aktiengesellschaften geprägt. Der Verwaltungsrat kann seine ihm als Kollegialorgan nach Schweizer Recht obliegende gesamte Geschäftsführungsverpflichtung und damit seine Verpflichtung, auf die Verwirklichung des gewerblichen Unternehmenszwecks hinzuwirken, nicht vollständig und dauerhaft delegieren. Ihm verbleibt vielmehr zumindest die Oberleitung der Gesellschaft, die nicht nur Aufsichtsrechte und -pflichten, sondern auch das Recht und gegebenenfalls die Pflicht umfasst, strategische Unternehmensziele zu formulieren und zu deren Erreichung Weisungen an die Geschäftsführung zu erlassen oder diese teilweise oder sogar ganz an sich zu ziehen. Hinzu kommen die weiteren unübertragbaren Aufgaben der Gestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle und der Finanzplanung, die den Wirtschaftsprüfer auch bei Ausschöpfung aller Spielräume für die Delegation der Geschäftsführungsaufgaben des Verwaltungsrats noch verpflichten würden, sich selbst aktiv am Streben nach Gewinn für die Gesellschaft zu beteiligen. Stellt sich die Tätigkeit des Vorsitzenden des Verwaltungsrats einer Schweizer Aktiengesellschaft auch bei Ausschöpfung aller Delegationsmöglichkeiten noch als Geschäftsführungstätigkeit dar, ist sie gewerblich. Daher bedarf es keiner Entscheidung, ob auch eine reine Aufsichtstätigkeit als gewerblich einzustufen ist, weil auch diese Tätigkeit von der gesellschaftsrechtlichen Pflicht zur Förderung des gewerblichen Unternehmenszwecks geprägt ist.

Ist die Übernahme des Verwaltungsratsvorsitzes einer Schweizer Aktiengesellschaft, wie ausgeführt, dem Wirtschaftsprüfer zu Recht generell untersagt, kommt die begehrte generelle Genehmigung dieser Tätigkeit nicht in Betracht.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Januar 2016 – 10 C 24.14

  1. vgl. BGH, Urteil vom 04.03.1996 – StbSt (R) 4/95 – BGHSt 42, 55, 60 f.; BFH, Urteil vom 17.05.2011 – VII R 47/10 – BFHE 234, 379 Rn. 12; vgl. Hense/Ulrich, WPO Kommentar, 2. Aufl.2013, § 43a Rn. 66[]
  2. vgl. BT-Drs. 3/201 S. 55, BT-Drs. 12/5685 S. 27, vgl. auch Hense/Ulrich, a.a.O. Rn. 53[]
  3. vgl. Hense/Ulrich, a.a.O. Rn. 64[]
  4. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.02.1967 – 1 BvR 569, 589/92, BVerfGE 21, 173, 179; und vom 04.11.1992 – 1 BvR 79/85 u.a., BVerfGE 87, 287, 316[]
  5. vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.11.1995 – 1 BvR 784/94 – NJW-RR 1996, 440[]
  6. BVerfG, Beschluss vom 04.11.1992 – 1 BvR 79/85 u.a., BVerfGE 87, 287, 317[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 04.11.1992 – 1 BvR 79/85 u.a., BVerfGE 87, 287, 330[]
  8. BVerfG, Beschluss vom 23.08.2013 – 1 BvR 2912/11, NJW 2013, 3357[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1550/03 u.a., BVerfGE 118, 168, 204[]
  10. ABl. L 157 S. 87[]
  11. ABl. L 158 S.196[]
  12. Erwägungsgründe 7 bis 12 der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 2006/43/EG[]
  13. Erwägungsgründe 13 bis 17 der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 2006/43/EG[]
  14. vgl. z.B. Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2006/43/EG a.F., Art. 22 Abs. 2 und 4, Art. 22a der Richtlinie 2006/43/EG n.F.[]
  15. vgl. EuGH, Urteil vom 06.03.2014 – C-206/13 [ECLI:EU:C:2014:126], Siragusa, Rn. 23[]
  16. vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 25[]