Auch wenn der Rechtsnachfolger bereits zweifelsfrei feststeht, kann der Prozessbevollmächtigte einen Aussetzungsantrag nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO stellen, um so Gelegenheit zu haben, klare Weisungen des Erben zur Weiterführung des Prozesses einzuholen. Nur wenn die Aussetzung prozessual sinnlos ist, kann ein Aussetzungsantrag rechtsmissbräuchlich sein.

Hat das Finanzgericht über den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nicht durch besonderen Beschluss, sondern (erst) im Urteil entschieden, ist der behauptete Verfahrensmangel -die Verweigerung der Aussetzung- mit der Nichtzulassungsbeschwerde zu rügen, falls das Finanzgericht -wie im Streitfall- die Revision nicht zugelassen hat[1].
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall ist der Sohn der Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Eltern. Diese wurden in den Streitjahren 2004 bis 2010 zunächst zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist, ob und in welcher Höhe die Mutter des Sohnes (M) in diesen Jahren gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Gaststätte erzielt hat. Das Finanzamt prüfte ab 2010 die steuerlichen Verhältnisse der Mutter und erweiterte -nach einer Nachkalkulation und der Überprüfung der Kassenführung der zumindest auf ihren Namen betriebenen Gaststätte- ein bestehendes Steuerstrafverfahren wegen nicht erklärter Renteneinkünfte um ein solches wegen nicht erklärter Betriebseinnahmen in den Streitjahren 2004 bis 2010. Nach Abschluss der Außenprüfung im Jahr 2012 erließ das Finanzamt (erneut) Einkommensteueränderungsbescheide für die Streitjahre 2004 bis 2009 sowie, da die M insoweit keine Einkünfte aus dem Betrieb des Restaurants erklärte, erstmals einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2010. Bereits am 05.04.2011 hatte das Finanzamt den Verlustfeststellungsbescheid für das Streitjahr 2008 aufgehoben.
Die gegen sämtliche Bescheide gerichteten Einsprüche der Mutter und ihres Ehemanns, des Vaters des Sohnes (V), hatten keinen Erfolg. Die Mutter und der Vater erhoben daraufhin am 02.05.2014 Klage. Zur ihrer Begründung trugen sie vor, die M sei eine Strohfrau gewesen. Die gewerblichen Einkünfte seien ihrem Sohn, dem Sohn zuzurechnen, da ausschließlich er der faktische Inhaber der Gaststätte gewesen sei. M habe dem Sohn lediglich ermöglichen wollen, nach dessen Gewerbeuntersagung weiterhin die Gaststätte betreiben zu können. Sämtliche Leitungsbefugnisse hätten beim Sohn gelegen. M sei auch nicht als Mitunternehmerin anzusehen. Darüber hinaus seien die Schätzungen realitätsfremd und höchst willkürlich gewesen. Nach Beantragung der Einzelveranlagung ergingen für die Streitjahre 2005 bis 2007 entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide; das Verfahren des Vaters wurde insoweit abgetrennt.
Das Finanzgericht München[2] hat das Klageverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung für die Streitjahre 2004 bis 2010 ausgesetzt. Das Finanzamt hat das Bestehen einer Mitunternehmerschaft zwischen M und dem Sohn abgelehnt. Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos. Mit Urteil vom 25.09.2018[3] hat das Finanzgericht die Klage gegen diese negativen Feststellungsbescheide als unzulässig verworfen.
Die Mutter verstarb am 09.09.2018 und wurde vom Vater und dem Sohn zu je ½ beerbt. Die Erbengemeinschaft wurde nicht auseinandergesetzt. Am 29.04.2020 hat die damalige Prozessbevollmächtigte von M und V, P1, ihr Mandat den Sohn betreffend niedergelegt und -ebenso wie der weitere Prozessbevollmächtigte der M, Herr Rechtsanwalt U (P2)- erklärt, den Aufenthaltsort des Sohnes nicht zu kennen. P2 erklärte darüber hinaus, den Sohn wegen eines Interessenkonflikts als Rechtsanwalt weder unmittelbar noch als Mitglied der Erbengemeinschaft vertreten zu können. Gleichzeitig haben beide Prozessbevollmächtigte im Hinblick auf den Tod der Mutter die Aussetzung des Klageverfahrens nach § 246 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO beantragt.
Das Finanzgericht München hat im Urteil vom 12.05.2020[4] die Aussetzung des Verfahrens wegen des Todes der Mutter abgelehnt. Die Klage des Sohnes hat es als unzulässig verworfen, da dessen tatsächlicher Wohnort auch ihm trotz Ermittlungen nicht bekannt sei. Ansonsten hatte die Klage teilweise Erfolg. Das Finanzgericht hat zwar die Gewinne aus dem Betrieb der Gaststätte der Mutter zugerechnet, die Besteuerungsgrundlagen jedoch reduziert.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrte der Vater die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln. Das Finanzgericht hätte das Klageverfahren gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO aussetzen müssen. Das Finanzamt tritt der Beschwerde entgegen. Der Aussetzungsantrag im Klageverfahren sei rechtsmissbräuchlich gewesen. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2021 wurde das Beschwerdeverfahren durch Beschluss des angerufenen Bundesfinanzhofs vom 16.06.2021[5] gemäß § 246 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO ausgesetzt und -nachdem bekannt wurde, dass der Sohn der Erbe auch des Vaters ist- fortgesetzt. Der Prozessvertreter des Sohnes hat seine Vertretung des Sohnes nachgewiesen und sich im Übrigen auf die Ausführungen im Schriftsatz des P2, mit welchen die Nichtzulassungsbeschwerde des Vaters begründet worden war.
Über die Nichtzulassungsbeschwerde des Sohnes konnte vom Bundesfinanzhof entschieden werden. Gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO hatte der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 16.06.2021[5] das Verfahren auf Antrag der Bevollmächtigten des Vaters nach dessen Tod ausgesetzt. Mit Schreiben vom 09.09.2021 hat der Sohn durch seinen Prozessbevollmächtigten sinngemäß die Aufnahme des Verfahrens erklärt. Dieses wird unter dem Aktenzeichen – X B 123/21 fortgeführt (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 246 Abs. 2 Halbsatz 1 i.V.m. § 239 Abs. 1 ZPO).
Die nur vom Vater -auch als Gesamtrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau M- eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde, die nunmehr dem Sohn als Rechtsnachfolger des Vaters zuzurechnen ist, ist begründet. Das Finanzgericht hat, da es das ursprüngliche Klageverfahren der Eltern des Sohnes nicht gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO ausgesetzt hat, einen Verfahrensfehler begangen. Auf diesem Verfahrensfehler kann das angegriffene FG, Urteil beruhen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Dies führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie dem Vater betroffen hat, und zur Zurückverweisung an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
V hat am 16.06.2020 nur insoweit Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 116 Abs. 1 FGO gegen das FG, Urteil eingelegt, als es ihn betraf. Die Nichtzulassungsbeschwerde umfasst auch seine Stellung als Rechtsnachfolger für die verstorbene M.
Der Sohn, der sich zu diesem Zeitpunkt zusammen mit dem Vater in Erbengemeinschaft nach der Mutter befand, hat demgegenüber keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, so dass das Urteil insoweit rechtskräftig geworden ist.
Hat das Finanzgericht -wie im Streitfall- über den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nicht durch besonderen Beschluss, sondern (erst) im Urteil entschieden, ist der behauptete Verfahrensmangel -die Verweigerung der Aussetzung- mit der Nichtzulassungsbeschwerde zu rügen, falls das Finanzgericht -wie im Streitfall- die Revision nicht zugelassen hat[1].
Es kann im Streitfall offenbleiben, ob die Nichtbeachtung einer gebotenen Verfahrensunterbrechung den Fall einer nicht ordnungsgemäßen Vertretung i.S. von § 119 Nr. 4 FGO darstellt oder als ein sonstiger Verfahrensmangel mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen ist[6], da eine entsprechende Verfahrensrüge vom Sohn erhoben wurde.
Der vom Vater geltend gemachte Verfahrensfehler, das Finanzgericht habe rechtsfehlerhaft das Klageverfahren nicht aufgrund des Aussetzungsantrags des P2 nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO wegen des Todes der Mutter ausgesetzt, liegt vor.
Nach § 239 Abs. 1 ZPO, der gemäß § 155 Satz 1 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, tritt im Falle des Todes einer Partei eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. Allerdings ist § 239 ZPO nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO, der ebenfalls gemäß § 155 Satz 1 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß gilt, nicht anwendbar, wenn die verstorbene Partei durch einen bei dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten war[7]. Etwas anderes gilt jedoch nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO, wenn der Bevollmächtigte die Aussetzung des Verfahrens beantragt.
Vorliegend hatte P2 als Verfahrensbevollmächtigter der Mutter im Klageverfahren ausdrücklich die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO beantragt. Er war nach der Mandatsniederlegung der P1 nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 87 Abs. 1 ZPO weiterhin Verfahrensbevollmächtigter der -seinerzeit aus dem Vater und dem Sohn bestehenden- Erbengemeinschaft. Daher hätte das Klageverfahren, soweit es die verstorbene M betraf, ausgesetzt werden müssen.
Zwar liegen im Fall der gemeinsam erhobenen Klage von Ehegatten gegen einen Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheid zwei Klagen gegen verschiedene Verwaltungsakte vor, die im Wege einer subjektiven Klagehäufung verbunden werden können. Insoweit war hier hinsichtlich der gemeinsam erhobenen Klage der Eltern des Sohnes nur eine einfache Streitgenossenschaft zwischen dem Vater und der Mutter gegeben[8]. Jedoch hatte der Vater nicht nur die Rechtsstellung eines Sohnes bezüglich der gegen ihn gerichteten Verwaltungsakte -soweit die diesbezüglichen Verfahren für die Einkommensteuer 2005 bis 2007 nicht bereits abgetrennt worden waren- inne. Nach dem Tod der Mutter am 09.09.2018 rückte er vielmehr zusammen mit dem Sohn, mit dem er sich in nicht auseinandergesetzter Erbengemeinschaft befand, auch in die Verfahrensstellung der bisherigen Sohnin M ein. Deren Klage betraf die im Beschwerdeverfahren streitgegenständlichen Bescheide für die Streitjahre 2004 bis 2010 und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2008. Im Fall der Anfechtung von Steuerbescheiden durch mehrere Miterben besteht aber aus materiell-rechtlichen Gründen eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 59 FGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO[9].
Somit hätte das Finanzgericht das Verfahren der Mutter nach deren Tod aufgrund des vorliegenden Antrags nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO in Bezug auf den Vater und den Sohn aussetzen müssen. Ein Ermessen besteht insoweit nicht[10]; dies ergibt sich zwingend aus dem Wort „hat“ in § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO[11].
Die Beschwerdebegründung genügt auch insoweit den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, als darin die vorliegend erörterte Problematik der notwendigen Streitgenossenschaft nicht angesprochen ist. Denn zur Begründung der schlüssigen Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels (hier: § 119 Nr. 4 FGO bzw. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) genügt es, wenn die vorgetragenen Tatsachen -als wahr unterstellt- den behaupteten Verfahrensmangel ergeben; die zur Begründung des Mangels vorgetragenen Tatsachen müssen lückenlos vorgetragen werden[12].
Ob im Fall einer rechtsmissbräuchlichen Antragstellung eine Aussetzung des Verfahrens unterbleiben kann[13], bedarf hier keiner Entscheidung. Denn für die finanzgerichtliche Annahme eines Rechtsmissbrauchs, der dazu führen würde, eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung außer Kraft zu setzen, fehlt es im Streitfall an ausreichenden finanzgerichtlichen Feststellungen.
Die Rechtsfigur des Rechtsmissbrauchs ist eine Ausprägung des in § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Verhalten des Schuldners im Rahmen zivilrechtlicher Schuldverhältnisse geregelten Grundsatzes von Treu und Glauben. Dieser enthält einen allgemeinen, die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Rechtsgedanken mit umfassendem Anwendungsbereich für alle Rechtsgebiete. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn der Berechtigte kein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Gegenpartei entgegenstehen und die Rechtsausübung im Einzelfall zu einem grob unbilligen und mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde[14].
Für die Prüfung einer willkürlichen Antragstellung gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO ist es unerheblich, wie lange das die Antragsberechtigung auslösende Ereignis zurückliegt. Der Aussetzungsantrag kann daher noch gestellt werden, wenn der Rechtsnachfolger schon zweifelsfrei feststeht. Das Gesetz zwingt den Antragsberechtigten nicht zu einer alsbaldigen Zwangswahl[15].
Ob in der vorbehaltlosen Einlassung bzw. weiteren Verhandlung zur Sache trotz Kenntnis des Ereignisses nach §§ 239, 241, 242 ZPO ein Verzicht auf die Aussetzung liegen kann, ist zwar umstritten[16], bedarf aber vorliegend keiner Entscheidung. Denn nach dem Vortrag von P2 haben er und P1 in der mündlichen Verhandlung am 12.05.2020 ausdrücklich erklärt, weder zur Sache zu verhandeln noch Sachanträge zu stellen. Er habe eine Erklärung zu Protokoll gegeben, dass der Antrag vom 29.04.2020, das Verfahren gemäß § 246 Abs. 1 ZPO auszusetzen, aufrecht erhalten bleibe. Dieses Vorbringen entspricht dem gerichtlichen Protokoll. Danach kann in dem prozessualen Verhalten der damaligen Bevollmächtigten gerade kein schlüssiger Verzicht auf die -erneut beantragte- Aussetzung gesehen werden.
Zweck der Regelung des § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO ist es, nicht nur die Erben eines verstorbenen Sohnes zu ermitteln, sondern auch dem Bevollmächtigten Gelegenheit zu geben, Weisungen des oder der Erben hinsichtlich der Weiterführung des Prozesses einzuholen[17]. Antragsberechtigt hinsichtlich der Aussetzung ist nach der gesetzlichen Regelung der Prozessbevollmächtigte, nicht die von ihm vertretene Partei. Der Bevollmächtigte hat ein eigenes Interesse daran, bei sich möglicherweise ergebenden Unklarheiten in Folge des Todes einer Partei einen vorläufigen Stillstand des Verfahrens herbeizuführen. Diese sind oft mit faktischen Einschränkungen seiner Vertretungsmöglichkeit verbunden. Der vorläufige Stillstand des Verfahrens kann ihn vor möglichen Schadensersatzansprüchen schützen[18].
Ein Aussetzungsantrag gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO kann daher nur rechtsmissbräuchlich sein, wenn die Aussetzung vor diesem Hintergrund keinen prozessualen Sinn mehr hätte[19], d.h. wenn für seine Stellung kein beachtliches Interesse bestehen und er ausschließlich der Verzögerung des Verfahrens dienen würde[20].
Nach Maßgabe dessen tragen die Feststellungen des Finanzgericht im angefochtenen Urteil seine Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht.
Soweit das Finanzgericht einerseits ausführt, dass den Prozessbevollmächtigten aufgrund des vorgelegten Erbscheins vom 14.02.2019 eine Abstimmung mit den Erben der Mutter zum weiteren Vorgehen im Prozess „seit über einem Jahr möglich“ gewesen sei, steht dem entgegen, dass das Gericht andererseits dem seinerzeitigen Vorbringen u.a. des P2, er verfüge über keinerlei Erkenntnisse zum Aufenthaltsort des Sohnes und auch V habe (nach seiner letzten Kenntnis) seit längerer Zeit keinen Kontakt zu seinem Sohn, nicht entgegengetreten ist. Die Vorinstanz ist vielmehr im Zusammenhang mit der Abweisung der Klage des Sohnes als unzulässig selbst von dessen Unerreichbarkeit ausgegangen. So hat es ausdrücklich ausgeführt, dass Wohnort, Aufenthalt und seine ladungsfähige Anschrift durch das Gericht nicht hätten ermittelt werden können und auch seinen (vormaligen) Prozessvertretern der Aufenthalt des Sohnes nicht bekannt sei.
Die weiteren Erwägungen des Finanzgericht im angegriffenen Urteil vermögen ebenfalls einen Rechtsmissbrauch nicht hinreichend zu belegen.
Das Finanzgericht argumentiert dahingehend, P2 habe im Aussetzungsantrag vom 29.04.2020 bereits ein berufsrechtliches Verbot der Vertretung des Sohnes angegeben, aber dennoch nicht das -ursprünglich durch M erteilte- Mandat (gleichzeitig) niedergelegt, so dass er nicht schlüssig behaupten könne, sich vom Sohn noch Weisungen betreffend die Führung des Prozesses erteilen lassen zu müssen. Nach Mandatsniederlegung durch P1 (29.04.2020) und P2 (05.05.2020) sei nicht erkennbar, welche Weisungen sich die Prozessbevollmächtigten vom Sohn noch hätten einholen wollen. Außerdem habe mit der jeweiligen Mandatsniederlegung für beide Prozessbevollmächtigte kein berechtigtes Interesse mehr bestanden, Gelegenheit zur Abklärung zu erhalten, ob und wie die widerstreitenden Interessen des Vaters und des Sohnes zu vereinbaren sein sollten.
P2 hat hierzu in seiner Beschwerdebegründung vom 27.08.2020 ausgeführt, das Finanzgericht verkenne grundlegend die rechtlichen Beziehungen zwischen Rechtsanwalt und Mandant im Innen- und Außenverhältnis. Die Mandatsniederlegung betreffe das Innenverhältnis und stelle sich rechtlich als empfangsbedürftige Kündigung dar. Bei Vorliegen ihm bekannter besonderer Umstände träfen den Anwalt besondere Sorgfaltspflichten. Dies sei hier der Fall, da er (P2) seit dem Tod der Mutter zum Sohn keinerlei Kontakt gehabt habe. Mangels Kenntnis seines Aufenthaltsortes habe auch keine Möglichkeit bestanden, das Mandatsverhältnis durch Kündigung zu beenden. Hiernach habe das Mandatsverhältnis zum Sohn im Innenverhältnis unverändert fortbestanden, so dass die vom Finanzgericht formulierte Anforderung, mit der Mitteilung, dass eine anwaltliche Vertretung nicht erfolgen könne, sei zugleich das Mandat niederzulegen, sich als objektiv unerfüllbar erweise. Soweit das Finanzgericht den Begriff „Weisungen“ dahin einenge, dass hiervon nur inhaltliche Weisungen zu verstehen seien, schränke es den Normzweck des § 246 ZPO ein. Denn selbstverständlich sei davon auch der Bestand des Mandats- und Vertretungsverhältnisses als solches erfasst, also die Frage, ob der Erbe den bisherigen Prozessvertreter beibehalten wolle. Daher sei die Interpretation des Finanzgericht, er (P2) habe mit Schreiben vom 05.05.2020 das Mandat niedergelegt, unzutreffend. Tatsächlich habe er stets nur darauf hingewiesen, dass ihm wegen des dargelegten Interessenkonflikts eine Vertretung nicht möglich sei und er diese auch nicht wahrnehme.
Der Beschwerde ist zunächst zuzugeben, dass sich dem Schriftsatz vom 05.05.2020 eine Mandatsniederlegung nicht entnehmen lässt. Offenbar hat das Finanzgericht die darin enthaltene -ein Missverständnis ermöglichende- Erklärung, er (P2) vertrete „Herrn Y (Sohn) weder unmittelbar noch als Mitglied der Erbengemeinschaft anwaltlich“, unzutreffend verstanden bzw. rechtlich gewürdigt. P2 wollte damit augenscheinlich erläutern, dass er den Sohn wegen des von ihm mitgeteilten Interessenkonflikts bzw. aus berufsrechtlichen Gründen auch nicht als Mitglied der Erbengemeinschaft vertreten dürfe. Demgegenüber ist das Finanzgericht entweder in rechtlich fehlerhafter Weise davon ausgegangen, die Mitteilung gegenüber dem Gericht stelle bereits die Mandatsniederlegung dar, oder hat in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend angenommen, die fehlende anwaltliche Vertretung des Sohnes beruhe auf einer bereits durch P2 erfolgten Niederlegung des ursprünglich gegenüber der Mutter übernommenen Mandats. Letzteres dürfte allerdings -wie in der Beschwerdebegründung nachvollziehbar dargetan- angesichts fehlender Kenntnisse über den Aufenthaltsort des Sohnes zum damaligen Zeitpunkt objektiv nicht möglich gewesen sein.
Ungeachtet seiner insoweit unzutreffenden Annahme bzw. Schlussfolgerung hat das Finanzgericht, da der im Schriftsatz vom 29.04.2020 enthaltene Aussetzungsantrag noch vor der vermeintlichen Mandatsniederlegung erfolgt war, alternativ argumentiert und darauf hingewiesen, dass sich P2 jedenfalls wegen des aus seiner Sicht bestehenden berufsrechtlichen Vertretungsverbots so behandeln lassen müsse, als ob er das Mandat bereits niedergelegt hätte. Hiernach erscheint die sinngemäße Wertung des Finanzgericht schlüssig, dass, soweit P2 in der Folgezeit überhaupt nicht mehr im Außenverhältnis als Prozessbevollmächtigter des Sohnes tätig werden durfte, es im Innenverhältnis auch nicht der Einholung von Weisungen des Sohnes bezüglich der Führung des Klageverfahrens bedurfte. Entsprechendes gilt für den weiteren Zweck der Aussetzung, nach dem der Prozessbevollmächtigte auch Zeit gewinnen soll, um sich die Vollmacht des Erben zu besorgen (vgl. § 86 Halbsatz 2 ZPO; vgl. MünchKomm-ZPO/Stackmann, § 246 Rz 2).
Dennoch reicht diese finanzgerichtliche Begründung nicht aus, bei der im Streitfall gegebenen Interessenlage des P2, aufgrund der sich in Folge des Todes der Mutter ergebenden Unklarheiten einen vorläufigen Stillstand des Verfahrens herbeizuführen[21], den grundsätzlich zu entsprechenden Aussetzungsantrag des Bevollmächtigten gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO mit dem Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens abzulehnen.
Eine gravierende Unklarheit ergibt sich zunächst aus der Annahme des Finanzgericht, zwischen den Interessen des Sohnes und der Mutter habe seit jeher ein Gleichklang bestanden. Dies zugrunde gelegt, ist nicht verständlich bzw. nicht nachvollziehbar dargetan, weshalb das Finanzgericht dann dem Vorbringen des P2 über einen konkreten Interessenkonflikt zwischen der Mutter und dem Sohn bezüglich der Einkünftezurechnung bzw. der Unternehmereigenschaft gefolgt ist. Wäre kein Fall widerstreitender Interessen i.S. des § 43a Abs. 4 Satz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung -BRAO- gegeben, hätte insoweit für P2 kein berufsrechtliches Vertretungsverbot und keinerlei rechtliche Einschränkung für die Stellung eines Aussetzungsantrags bestanden.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsanwalt bei Eingreifen eines sich aus § 43a Abs. 4 Satz 1 BRAO ergebenden Tätigkeitsverbots -wie hier aufgrund der Erbfolge nach M durch die entstehende Erbengemeinschaft (bestehend aus V und dem Sohn)- das Mandat unverzüglich niederlegen muss. Denn ein Rechtsanwalt darf kein Mandat neu annehmen bzw. ein durch gesetzliche Erbfolge übergehendes Mandat fortführen, dessen Wahrnehmung einen Verstoß gegen § 43a Abs. 4, §§ 45 und 46 BRAO begründen würde[22]. Danach hätte P2 unmittelbar die Kündigung des Mandats gegenüber dem Sohn vornehmen und dabei zugleich seiner Unterrichtungspflicht genügen müssen. Dies wäre ihm aber nur möglich gewesen, wäre ihm der Aufenthaltsort des Sohnes bekannt gewesen, was jedoch nicht der Fall war.
Da die Beantwortung der Frage, wann ein Mandat endet, das nicht ausdrücklich gekündigt wird, von den Umständen des Einzelfalles abhängt und sich allgemeine Regeln dazu nicht aufstellen lassen[23], kann ein Interesse des P2, vor einer endgültigen Entscheidung des Gerichts die diesbezügliche Unsicherheit zu beseitigen, nicht verneint werden.
Dem ist -entgegen der Auffassung des Finanzgericht- auch nicht entgegenzuhalten, dass für den Fall, dass das Verfahren aufgrund eines früher nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO gestellten Antrags ausgesetzt gewesen wäre, zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Aufnahme des Verfahrens von Amts wegen möglich gewesen wäre. Die Aussetzung stellt keine unnötige Förmelei dar, auch wenn die Voraussetzungen einer Ladung zur Aufnahme nach § 239 Abs. 2 und 3 ZPO vorlägen. Die Aufnahme kann nämlich erst verzögert werden, wenn das Verfahren ausgesetzt ist[24].
Das gesamte den Vater betreffende Urteil kann auf dem dargestellten Verfahrensfehler beruhen, denn es besteht die Möglichkeit, dass die fehlende Aussetzung des Klageverfahrens der verstorbenen M dazu geführt hätte, dass das Finanzgericht auch über die Klage des Vaters nicht (mehr) entschieden hätte.
Die Voraussetzung, dass das Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel zu beruhen vermag, ist erfüllt, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre; dabei kommt es auf den Rechtsstandpunkt des Finanzgericht an, mag dieser richtig oder falsch sein[25].
Das Finanzgericht hat nach seinem Rechtsstandpunkt keine Veranlassung gesehen, das Klageverfahren des Vaters trotz des Todes der Mutter und des unbekannten Aufenthaltsortes des Sohnes nicht von dem Klageverfahren der verstorbenen M abzutrennen. Vielmehr hat es beide Verfahren im FG, Urteil einheitlich entschieden, obwohl insoweit lediglich eine einfache Streitgenossenschaft vorgelegen hat. Dieses Verhalten des Finanzgericht macht deutlich, dass das FG, Urteil insgesamt auf dem dargestellten Verfahrensfehler der fehlenden Aussetzung des Klageverfahrens der verstorbenen M beruhen kann. Es ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass das Finanzgericht das Klageverfahren des Vaters erst nach Fortführung des ausgesetzten Klageverfahrens der verstorbenen M beendet hätte und folglich das angegriffene Urteil (noch) nicht gesprochen hätte, zumal dieses nach der Abtrennung eines Teils der Klage des Vaters nicht mehr alle Streitjahre betraf.
Der Bundesfinanzhof macht von seiner nach § 116 Abs. 6 FGO bestehenden Möglichkeit Gebrauch, das Urteil soweit aufzuheben, wie es über die Klagen des Vaters (als Sohn und als Rechtsnachfolger der Mutter in Erbengemeinschaft mit dem Sohn) entschieden hat, und die Sache insoweit an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10. März 2023 – X B 123/21 (X B 47/20)
- vgl. BFH, Beschluss vom 02.02.1999 – II B 113/97, BFH/NV 1999, 1106, unter II.[↩][↩]
- FG München, Beschluss vom 02.11.2017 – 5 K 1205/14[↩]
- FG München, Urteil vom 25.09.2018 – 12 K 1551/18[↩]
- FG München, Urteil vom 12.05.2020 – 5 K 1205/14[↩]
- BGH, Beschluss vom 16.06.2021 – X B 47/20[↩][↩]
- vgl. dazu BFH, Beschluss vom 14.06.1994 – VIII R 79/93, BFH/NV 1995, 225, unter II. 3.c, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 16.12.2021 – IV R 1/18, BFH/NV 2022, 305, Rz 39, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 20.01.1995 – III R 31/93 unter 1.[↩]
- so schon BFH, Beschluss vom 05.12.2006 – X B 106/06, BFH/NV 2007, 733, II. 2.b; s.a. Gräber/Levedag, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 59 Rz 8; Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp, § 59 FGO Rz 31[↩]
- vgl. nur Thürmer in HHSp, § 74 FGO Rz 105, m.w.N[↩]
- statt vieler MünchKomm-ZPO/Stackmann, § 246 Rz 18[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 1995, 225, unter II. 2.a[↩]
- ausdrücklich offengelassen in BGH, Beschluss vom 08.11.1999 – II ZB 1/99, MDR 2000, 168, unter II., m.w.N.[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2020 – B 10 ÜG 1/19 R, BSGE 131, 153, Rz 26[↩]
- ebenso BAG, Beschluss vom 26.01.2021 – 3 AZR 119/19 (A), NJW 2021, 874, Rz 14[↩]
- vgl. ablehnend BFH, Urteil vom 14.07.1971 – I B 57/70, BFHE 103, 118, BStBl II 1971, 774; a.A. KG, Urteil vom 04.02.2019 – 8 U 109/17, MDR 2019, 544, Rz 28[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 103, 118, BStBl II 1971, 774[↩]
- so auch BAG, Beschluss in NJW 2021, 874, Rz 9 f.[↩]
- so Wieczorek/Schütze/Gerken, 5. Aufl., § 246 ZPO Rz 7[↩]
- vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.03.2007 – 19 U 28/06, Die Justiz 2007, 275, unter II. 1.[↩]
- vgl. BAG, Beschluss in NJW 2021, 874, Rz 10[↩]
- vgl. Deckenbrock, Anwaltsblatt 2010, 221, 222[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13.11.2008 – IX ZR 24/06 unter 1.[↩]
- so auch BAG, Beschluss in NJW 2021, 874, Rz 14[↩]
- vgl. nur BFH, Beschluss vom 07.02.1995 – V B 62/94, BFH/NV 1995, 861, unter II.[↩]